µHoubolt ist die erste Rakete, die mit unserem eigens entwickelten Flüssigtriebwerk fliegen wird. Das Triebwerk verwendet Ethanol als Brennstoff und Lachgas (N2O) als Oxidator, die Treibstoffe werden mit Stickstoff druckgefördert. Unser Langzeitziel ist es, mit einer eigenständig entwickelten Flüssigtreibstoffrakete das Weltall zu erreichen. µHoubolt agiert dabei als Einstieg in die Welt der Flüssigraketen – die Entwicklung hat sich darauf fokussiert, alle möglichen Hindernisse, die bei Bau und Betrieb von Flüssigtriebwerken auftreten können, im kleinen Maßstab zu testen. Diese Herangehensweise erlaubt uns schneller und günstiger eine Vielzahl an Designiterationen auszutesten und ebnet den Weg zur Flüssigtreibstoffrakete Houbolt.

 

 

 

 

 

 

Missionsziel und Anforderungen:

µHoubolt AnatomyDas Missionsziel lautet, eine möglichst einfache Flüssigrakete zu bauen und erfolgreich zu starten. In Anlehnung an das Houbolt-Konzept müssen folgende Anforderungen erfüllt sein:

  1. Treibstoffkombination: Lachgas und Ethanol
  2. Druckförderung der Treibstoffe mittels Stickstoff
  3. Flughöhe > 1 km
  4. Schub: max. 500 N
  5. Erfolgreiche Bergung mit zweistufigem Fallschirmsystem

Eckdaten des vorläufigen µHoubolt-Missionsdesigns:

Gesamtlänge200cm
Gesamtmasse12.1kg
Nutzlast1kg
Schub600N
Flughöhe3km
Maximale Geschwindigkeit225m/s
Maximale Beschleunigung4.6g

Airframe

Der Airframe wurde auf Simplizität und möglichst geringes Gewicht optimiert. Je simpler der Zusammenbau des Airframes und des Bergungssystems, desto besser können wir uns am Flugtag auf die bedeutend komplexeren Vorbereitungen des Antriebs konzentrieren. Gewichtsreduktion ist nötig, um beim Verlassen der Startrampe eine ausreichend hohe Geschwindigkeit zu erreichen und so aerodynamisch stabil zu fliegen.

Der Kern der Nosecone ist aus PVA, einem wasserlöslichen Filament, 3D-gedruckt. Nach dem Laminieren der Nosecone mit GFK, wird der PVA Kern mit Wasser gelöst und ausgespült. Bisherige Tests dieser Prozedur waren vielversprechend.

Das CFK Körperrohr hat einen Durchmesser von 123mm und Aussparungen zum Betanken. Railbuttons leiten µHoubolt entlang der Startrampe.

In Kooperation mit unserem Sponsor Peak Technology wollen wir das Leitwerk ähnlich zu dem von STR-03 herstellen. Eine detaillierte Beschreibung dieser Prozedur ist hier zu finden.

Bergungssystem

Das Bergungssystem von µHoubolt wird von einem Clampband gebildet. Acht Klemmen, die an einem Federstahlband befestigt sind, verbinden die beiden Kupplerenden in Nosecone und Körperrohr. Die Enden des Clampbands werden mit einem Stück Schnur zusammengebunden und gegenüber mit einer Schraube tangential gespannt. Am Gipfelpunkt schneidet ein CYPRES Linecutter die Schnur – der Federstahl entspannt sich und löst die Klemmen. Die zwei Kuppler sowie das Clampband werden in unserer Werkstatt gefertigt. Ein Prototyp des Clampbands wurde bereits in unserer Experimentalrakete STR-10 Leonor getestet und verifiziert.

Nach der Separation beschleunigen Steinschleuderschnüre die Nosecone weg vom Rohr, der Drogue-Schirm entfaltet sich und bremst µHoubolt auf etwa 20 m/s. 300 m über dem Boden gibt ein zweiter Linecutter den Hauptschirm frei, welcher vom Drogue aus dem Körperrohr gezogen wird, sich entfaltet und die Rakete auf etwa 6 m/s abbremst.

Treibstofftanks

Die Rakete hat zwei separate Treibstofftanks, einen für den Oxidator (Lachgas) und einen für den Brennstoff (Ethanol). Der Lachgastank hat ein Volumen von 2300 ml bei einem Arbeitsdruck von 40 bar und einem Leergewicht von 1200 g. Das Ethanol wird in einem Tank mit einem Volumen von 860 ml, einem Arbeitsdruck von 30 bar und einem Leergewicht von 680 g gelagert. Besonders beim Lachgastank muss darauf geachtet werden, dass alle Materialien kompatibel mit den geladenen Fluiden sind.

Aufgrund von Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Lachgas und dem latenten Risiko einer spontanen Zersetzung, wurden Tests bei kryogenen Temperaturen durchgeführt um zu evaluieren, ob flüssiger Sauerstoff (LOX) anstelle des Lachgas verwendet werden kann. Die erste Version von µHoubolt wird nicht mit LOX fliegen, da das Design für eine so tiefgreifende Änderung bereits zu weit fortgeschritten ist, allerdings planen wir LOX für die nächste Iteration von µHoubolt zu verwenden.

Druckfördersystem

Die Treibstoffe werden durch Stickstoffbedruckung von den Tanks in die Brennkammer befördert. Der Stickstoff wird in Hochdrucktanks gespeichert und mithilfe von Druckminderern auf den nötigen Arbeitsdruck reguliert. Diese Methode ist um einiges simpler als andere Fördermethoden. Gerade in kleinen Raketen wie µHoubolt hat diese Vorgehensweise zusätzlich den Vorteil, trotz robusteren Treibstofftanks Gewicht zu sparen, da auf Komponenten wie Pumpen, Generatoren, Elektromotoren und dergleichen verzichtet werden kann.

Für µHoubolt werden Druckkomponenten aus dem Painballbereich verwendet. Die benötigten Bauteile wie Tanks, Druckminderer und -regler sind in großer Auswahl kommerziell erhältlich, was einerseits Designzeit und Kosten reduziert, sowie ein gewisses Level an Sicherheit gewährleistet. Da diese Teile nicht für den Einsatz in Raketen gedacht sind, haben sie keine detaillierten Datenblätter. Deshalb musste erst evaluiert werden, ob die Komponenten den gewünschten Druck bei dem benötigten Massenstrom liefern können. Die Tests waren erfolgreich, diese massenproduzierten Komponenten sind also für unsere Zwecke verwendbar.

Triebwerk

µHoubolt Engine Render

Das Herzstück der Rakete ist unser eigens entwickeltes und gefertigtes Flüssigtriebwerk “Amalia”, welches einen Schub von ungefähr 500 N liefert. Da es das erste Triebwerk seiner Art ist, welches vom TU Wien Space Team verwendet wird, ist viel Aufwand ins Testen und Verifizieren geflossen, um einen reibungslosen Betrieb beim tatsächlichen Flug der Rakete zu gewährleisten. Um das zu ermöglichen wurde der Teststand TS02-500N vom Team entwickelt.

Injektor & Ventile

Der Oxidator strömt durch Düsen von oben in die Mitte des Triebwerks. Die Düsen regulieren den Massenstrom und entkoppeln den Brennkammerdruck vom Druck in den Tanks. Der Brennstoff strömt seitlich durch ein kavitierendes Venturi, welches demselben Zweck dient. Die Treibstoffe werden durch einen Unlike-Doublet Impingement Injektor in die Brennkammer eingeführt. Die Strahle von Oxidator und Brennstoff prallen aufeinander, zerstäuben und durchmischen sich um eine gleichmäßige Verbrennung zu erreichen.

Der Treibstofffluss wird durch zwei Kugelventile kontrolliert, die von elektrischen Servomotoren aktuiert werden. So kann die Startsequenz präzise in Software konfiguriert werden. Das Triebwerk beinhaltet außerdem zwei redundante, interne, pyrotechnische Zündladungen. Dadurch ist es nicht nötig, einen Zünder von außen in die Brennkammer zu verlegen.

Brennkammer

Um zu verhindern, dass die Brennkammerwand durch die extreme Hitze der Verbrennung überhitzt und zerfällt, muss sie gekühlt werden. Kapazitiv-, Film- und Ablativkühlung wurden betrachtet. Derzeit fokussieren wir uns auf ablative Kühlung, weil sie simpel ist und wenig zusätzliche Masse benötigt. Ablative Kühlung funktioniert durch Beschichtung der Innenwände mit einem hitzeabsorbierenden Material, welches beim Brennen verdampft. So wird die Hitze weg von den Wänden transportiert und eine Schutzschicht erzeugt. Eine ablative Brennkammer ist ein Verschleißteil, welches für eine einmalige Nutzung gedacht ist, also muss sie nach jeder Triebwerkszündung ausgetauscht werden.

Tatsächlich ist kapazitive Kühlung sogar noch simpler. Indem genügend thermische Masse vorhanden ist, kann die Brennkammer der ihr ausgesetzten Hitze standhalten weil sie über die Dauer des Feuerns nicht zu heiß wird. Um das zu ermöglichen, müssen die Wände allerdings bedeutend dicker ausgelegt werden, was Probleme mit der Aerodynamischen Stabilität mit sich bringt, sowie die Performance der Rakete im Allgemeinen verschlechtert. Filmkühlung nutzt einen dünnen Film aus einem besonders brennstoffreichen Treibstoffmix nahe der Brennkammerwand, welcher verdampft und dann mit deutlich niedrigerer Temperatur verbrennt als die Hauptmischung. So wird die Wand vor der Hitze der Hauptverbrennung abgeschirmt. Um dies zu implementieren, ist eine komplexere Einspritzung erforderlich, weshalb wir die simplere, ablative Methode bevorzugen.

Eine Kühlmethode, die wir nicht betrachtet haben da sie unpassend für ein derart kleines Triebwerk und schwierig zu fertigen ist, ist die regenerative Kühlung. Dabei wird einer oder sogar beide der Treibstoffe durch Kühlkanäle in der Brennkammerwand geleitet bevor sie eingespritzt und verbrannt werden. Diese Methode wird in Zukunft für größere Triebwerke evaluiert werden.

Avionik

Die Avionik von µHoubolt dient der Regulierung und Überwachung der Rakete. An vielen Stellen werden Daten durch eine Vielzahl an Sensoren gesammelt und mit erwarteten Werten verglichen. “Avionik” ist ein Überbegriff des Systems, welches in unserem Fall in fünf Submodule unterteilt ist:

  1. ECU (Engine Control Unit) – Beinhaltet verschiedenste Sensoren um das Flugprofil und die Triebwerkscharakteristik zu überprüfen. Sie ist dafür verantwortlich, die Ventile zu betätigen, die Zündung zu aktivieren und Temperaturen sowie Drücke zu überwachen.
  2. PMU (Power Management Unit) – Dient zur Stromversorgung der meisten Subsysteme und konvertiert die Spannung der Akkus auf die nötigen Spannungslevel. Beinhaltet außerdem den “Safety Pin” welcher – bis er entfernt wird – das Triebwerk davon abhält, zu zünden.
  3. RRU (Redundant Recovery Units) – Die Recovery Unit (RU) ist dafür verantwortlich, beide Bergungsevents einzuleiten. Falls eine RU ausfällt, kann die zweite RU (welche commercial off-the-shelf ist) eine Bergung einleiten.
  4. RCU (Radio Control Unit) – Wird verwendet, um Kommunikation zwischen der Rakete und der Bodenstation während des Fluges zu ermöglichen. Sensordaten werden dynamisch gesendet, falls ein passender Signalpfad vorhanden ist. Zusätzlich ist ein GNSS-Empfänger eingebaut um die Position der Rakete festzustellen.
  5. DLU (Data Logging Unit) – Ist das Äquivalent zum Flugdatenschreiber oder der “Black Box” in Flugzeugen. Sie enthält ein eigenes Set an Sensoren und einen Backup-Akku in einem robusten Gehäuse, um die Chance von unbeschädigten Flugdaten im Falle eines Systemfehlers oder einer harten Landung zu erhöhen. Zusätzlich speichert die DLU die gesamte Kommunikation zwischen allen anderen Modulen über den CAN Bus.

Startrampe

Die Startrampe beinhaltet neben einem eigenen Steuersystem auch die Verbindungen zur Rakete (Stromversorgung, Datenverbindung und Betankungsschläuche), welche automatisch getrennt und zurückgezogen werden können. Um die Sicherheit zu erhöhen, läuft die  Oxidator- und Stickstoffbetankung komplett automatisiert. So wird unnötige Gefährdung von Personen, welche andernfalls vor Ort mit den Geräten interagieren müssten, reduziert. In die Startrampe ist außerdem eine Rückhaltevorrichtung integriert. Diese gibt die Rakete nur dann frei, wenn die Triebwerksleistung nach der Zündung ausreichend für einen sicheren Start ist.

Du möchtest mehr erfahren?

In den Videos bekommst du einen Eindruck von unserem Propulsion Team, wie es gerade an dem Teststand für das µHoubolt Triebwerk arbeit:

 

 

 

Blog Post:

https://spaceteam.at/2020/11/22/teststandupgrade-cold-flow-test/

 

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