Im Oktober 2020 nahm das TU Wien Space Team an der EuRoC (European Rocketry Challenge) in Portugal teil, dem ersten studentischen Raketenstart-Wettbewerb Europas.
EuRoC 2020
Ziel ist Studierende dazu zu ermutigen, Raketen zu designen, bauen und starten zu lassen. Sie wurde gegründet als Ersatz für den Spaceport America Cup, welcher wegen der Pandemie abgesagt wurde. Dieses Jahr sind 6 Teams aus 5 Staaten angetreten: Österreich, Schweiz, Deutschland, Dänemark und Frankreich. Gleich zwei Teams waren vom Space Team: STR-10 und The Hound.
Das Event fand in Ponte de Sor in Portugal von 20.10 bis 25.10.2020 statt. Es war gut organisiert, jedem Team wurden zwei Zelte (Paddocks) zur Verfügung gestellt, wo wir unsere Raketen zusammenbauen und startbereit machen konnten. Vor Anreise nach Portugal und bei Ankunft musste ein Corona-Test abgelegt werden, um maximale Sicherheit zu gewährleisten. Am Tag vor dem Launch war ein Flight Readiness Review auf Basis des technischen Berichts zu absolvieren, sowie ein launch rail/tower fit check.
Neben den Organisatoren des erfolgreichen Events danken wir herzlichst der Österreichischen Forschungsföderungsgesellschaft (FFG) sowie dem Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie für die Unterstützung und Übernahme der Reisekosten.
STR-10 Leonor
STR-10 Leonor ist die 10. Rakete der STR (Space Team Rocket) Experimentalraketenserie. Jedes Jahr wird eine neue Rakete von relativ neuen Mitgliedern des Space Teams gebaut. Die Aufgabe der Serie ist neue Raketenkonzepte zu testen und umzusetzen. Dieses Jahr hat sich das STR-Team die Implementierung von drei Experimenten vorgenommen:
- Ein Clampband: Am Apogäum wird es ausgelöst, um die Rakete für die Bergung zu trennen. Elf Klemmen sind auf ein Federstahlband geschraubt, das um den Coupler der Nosecone und des Hauptrohres gewickelt wird, um diese zusammenzuhalten. Die Enden des Federstahls werden mit einer Schnur verbunden, von Außen kann diese mit einer Schraube gespannt werden. Wird die Schnur vom Linecutter gekappt, löst sich das Clampband, Nosecone und Hauptrohr werden getrennt, der Fallschirm kann ausgeworfen werden.
- Eine Reffung für den Fallschirm. Die Reffleine wird durch 8 Ringe, die entlang des Umfangs des Fallschirms eingenäht sind, gefädelt. 400 Meter über dem Boden wird die Leine von einem Linecutter gekappt, der Fallschirm kann sich jetzt zur vollen Größe entfalten. Die Rakete kommt also mit nur einem Fallschirm aus, ein separater Drogue wird nicht benötigt.
- Ein Leitwerk, das durch CFD-Simulation (Computational Fluid Dynamics analysis) auf möglichst geringen Luftwiderstand optimiert ist. Base Drag wird reduziert indem das Leitwerk nach hinten hin von 104 mm Durchmesser auf 64 mm verjüngt. Die Querschnittsfläche wird nach hinten hin gleichmäßig kleiner, um den Wave Drag zu verringern (Transonic Area Rule). Das Leitwerk wurde 3D-gedruckt und mit CFK laminiert. Durch diesen Ansatz konnten wir den Luftwiderstand um ca. 60% reduzieren, was einem ca. 15% höheren Apogäum entspricht.
STR-10 ist als erste Rakete bei der EuRoC gestartet. Einen guten Eindruck des Fluges vermitteln die folgenden Videos:
Das Clampband hat erfolgreich den Kräften und Vibrationen des Starts widerstanden und hat im richtigen Moment schnell ausgelöst. Durch den Fallschirmschock hat sich eine Lötstelle am Linecutter im Fallschirm gelöst, das Signal zum Entreffen des Schirms hat den Linecutter also nicht erreichen können. Glücklicherweise haben wir beschlossen die Reffungsleine eher lang auszulegen, um immer noch relativ gemächlich mit zumindest 15m/s zu landen, auch wenn der Reffungsmechanismus ausfällt. Das Apogäum liegt bei 2500 Meter, die Höchstgeschwindigkeit bei 300 m/s. Das Leitwerk ist relativ schwer in OpenRocket zu simulieren, wir haben uns also gefreut, dass wir sogar noch höher und schneller geflogen sind, als erwartet.
STR-10 ist erfolgreich gestartet und gelandet, sie wurde als erste studentische high-power Rakete, die jemals in Portugal gestartet ist, gefeiert. Bei der Abschlusszeremonie wurde STR-10 Leonor mit dem Preis für ‘Innovation’ ausgezeichnet.
The Hound
Da wie so vieles auch der Launchevent Balls in Nevada, USA, abgesagt wurde, hat sich EuRoC als spannende Testmöglichkeit für The Hound herausgestellt. Wenngleich eine maximal mögliche Flughöhe von 30kft (ca. 9km) deutlich unter der erreichbaren Höhe von The Hound liegt, ist dies trotzdem eine der wenigen Möglichkeiten in Europa auf diese Höhen zu fliegen (vgl. maximale Flughöhe in Deutschland liegt bei ca 3.5km).
Somit musste die Originalkonfiguration von The Hound angepasst werden um die 30kft einzuhalten.
Zusätzlich waren wir bei der Auswahl der nach Europa lieferbaren Feststoffmotoren beschränkt: Gewählt wurden ein L935 über M1790 von CTI. Als Oberstufe wurde ein Testairframe aus GFK gewählt, und in der Unterstufe musste das Design der Finnen angepasst werden, um eine ausreichende aerodynamische Stabilität trotz geringerer Startbeschleunigung zu erhalten.
Aufgrund der Covid-Situation wurde die spätestmögliche Anreise gewählt und es blieb nur ein Tag zur Vorbereitung und Abnahme der Rakete durch den Veranstalter übrig. Da The Hound ein erprobtes Konzept ist und alle Projektmitglieder erfahren sind, schafften wir das Flight Readiness Review mit Bravour und konnten auch den anderen Teams bei der Vorbereitung der COTS-Feststoffmotoren unterstützen.
Der Tag, an dem alle Raketen gestartet wurden, wurde aufgrund knapper Zeitfenster für die Luftraumfreigabe vom Veranstalter rigoros durchgeplant. The Hound sollte um 12:30 Ortszeit starten und daher wurde bereits frühmorgens mit den Vorbereitung am Fluggelände gestartet.
Aufgrund diverser Verzögerungen, immerhin war die Launchkampagne eine Premiere für den Veranstalter, war es um 12:50 so weit: The Hound war flugbereit auf der Startrampe und der Launch Control Officer initiierte die Zündung.
Der Start verlief wie geplant und auch die zweite Stufe konnte erfolgreich gezündet werden. Erstmals konnten wir die Zündung des Oberstufenmotors von der Unterstufe aus filmen:
Die Fallschirme beider Stufen wurden punktgenau am Gipfelpunkt geöffnet, gut zu sehen am Onboard-Video der Oberstufe:
Einige Fakten zum Flug:
- Unterstufe:
- Startbeschleunigung: 10g
- Maximalgeschwindigkeit: Mach 1
- Flughöhe (Apogäum): 3700m
- Oberstufe:
- Startbeschleunigung bei Zündung der 2. Stufe auf 2.7km Höhe: kurzzeitig 35g, dann ca. 15g
- Maximalgeschwindigkeit: Mach 2
- Flughöhe (Apogäum): 9000m
Der Reffmechanismus des Hauptfallschirms der Unterstufe wurde jedoch bei der Öffnung am Gipfelpunkt beschädigt.
Aufgrund des hohen Widerstandes des Hauptfallschirms löste sich dieser von der restlichen Rakete. Lediglich der Stufenkuppler mit seinem geringen Gewicht hing am Hauptfallschirm, wodurch dieser vom Wind weit vertragen wurde. Der Stufenkuppler war jedoch mit einem redundanten GPS-Sender ausgestattet und konnte unbeschadet geborgen werden: 18km vom Startgelände entfernt.
Als Reffmechanismus wurde ein Jolly Logic ChuteRelease verwendet. Dieser hat sich bei den letzten Testflügen leider als unzuverlässig herausgestellt und auch beim Spaceport America Cup ist die Verwendung für Fallschirme diese Größe nicht mehr erlaubt wie wir erfahren haben. Daher muss das Bergungskonzept der Unterstufe weiter verbessert werden, bevor wir 2021 einen neuen Rekordversuch in der Wüste Nevadas anstreben werden.
Fazit: Trotz dieses Schönheitsfehlers war der Testflug von The Hound ein großer Erfolg, und markiert nun mit dem erreichten Apogäum von 9000m den höchsten Flug auf Europäischen Boden einer Rakete des TU Wien Space Teams. Als Anerkennung dafür wurde dem Team von der EuRoC-Jury der Preis für „Flugdynamik“ verliehen.